HT 2021: The “Special Relationship” Reconsidered: New Approaches and Findings in the History of German-Israeli Affairs

HT 2021: The “Special Relationship” Reconsidered: New Approaches and Findings in the History of German-Israeli Affairs

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD)
Ort
hybrid (München)
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.10.2021 - 08.10.2021
Url der Konferenzwebsite
Von
Juliane Brauer, Historisches Seminar, Bergische Universität Wuppertal

„Ein Wunder“, als solches bezeichnete Angela Merkel einst die deutsch-israelischen Beziehungen. „Wirklich so besonders?“ diskutieren dahingehend die Teilnehmer:innen der (Online)Podiumsdiskussion im Rahmen des Historikertages. Mit dem Ziel, die „special relationship“ zwischen Deutschland und Israel vor dem Hintergrund neuer Forschungsarbeiten zu beleuchten, luden die beiden Organisator:innen der lebhaften Podiumsdiskussion, Lorena de Vita (Universität Utrecht) und Moshe Zimmermann (Hebrew University of Jerusalem) den Regisseur und Autor David Witzthum (Jerusalem) und die Historiker Hubert Leber (Marburg / Haifa) und Jeffrey Herf (Washington, D.C.), damit drei berufene Männer auf das Podium, die durch ihre spezifischen Forschungs- und Erzählperspektiven zum deutsch-israelischen Verhältnis genau dieses „Wunder“ beredet und überzeugend entzaubern sollten und konnten.

Auch die beiden Organisator:innen zeichnen sich durch ihre Forschungsarbeiten als Spezialist:innen für diese Frage aus. MOSHE ZIMMERMANN (Jerusalem), schon seit Jahrzehnten als Historiker und kritischer Kommentator als Analyst der deutsch-israelischen Beziehungen bekannt1, eröffnete die Debatte mit These (und auch schon mit dem vorweggenommenen Fazit der Diskussion), dass es sich bei dem anscheinenden „Wunder“ deutsch-israelischer Beziehungen eher um eine Floskel handle. Denn, so Zimmermann, ließe sich einerseits kaum etwas Besonderes an den zwischenstaatlichen Beziehungen ausmachen, wenn man sie in den globalen Kontext stelle, andererseits sähe er eher Kontinuitäten statt wunderhafte Wendungen. Eine Entwicklung attestierte er den zwischenstaatlichen Beziehungen im Hinblick auf Intensität und Qualität insbesondere ab den 1990er-Jahren. Bei aller Breite der Forschung sei es aber ausgerechnet die Zeit ab 1990, die noch wenig beleuchtet und erarbeitet sei. Diese Lücke spiegelte sich auch in der vertretenen Expertise auf dem Podium wider. Zugleich stellte er (aktuell belegt anhand der Ausschreitungen am Rande eines Fußballspiels zwischen Union Berlin und Makabi Haifa) die leider nicht weiter diskutierte These in den Raum, dass Antisemitismus Teil der „besonderen Beziehungen“ sei. Eine andere Seite der besonderen Beziehungen sei aber auch die auffällige Asymmetrie, so gäbe es in Deutschland ein weit größeres Interesse an Israel als umgekehrt.

LORENA DE VITA (Utrecht) erregte gerade Aufmerksamkeit mit ihrem sehr lesenswerten Buch Israelpolitik2, in dem sie genauestens die Israelpolitik beider deutschen Staaten einerseits im Kontext des Kalten Krieges analysierte und andererseits in die Legitimitationsstrategien der DDR und BRD nach dem Holocaust einbettete. Bemerkenswert ist ihre Arbeit auch deshalb, weil sie damit die disziplinären Grenzen der Diplomatiegeschichte verschiebt und die diplomatischen Beziehungen zwischen diesen Ländern in den 1950er-Jahren als eine Geschichte der Begegnungen jenseits des Verhandlungstisches erzählt, indem sie auch das Handeln der Ehefrauen und Sekretärinnen in den Blick nimmt.

Mit den drei geladenen Gästen haben sich die Organisator:innen vielfältige nationale und disziplinäre Perspektiven auf das Podium geholt. Der israelische Journalist und Autor DAVID WITZTHUM (Jerusalem) ist unter anderem bekannt durch sein 2018 erschienenes Buch zu den (aus innerisraelischer Perspektive) hart umkämpften Anfängen und fast unversöhnlichen Positionen zur Israelisch-Deutschen Wiedergutmachungspolitik.3 In dem kurzweilig illustrativen Beitrag diskutiert Witzthum, wie die Frage nach der Position zu Deutschland zum Anlass eines erbitterten Streites in der Knesset zwischen den beiden Hauptakteuren Ben Gurion und Menachem Begin wurde. Das Besondere daran war die ausgeprägte Emotionalität, mit der sich der erste Premiermister des neu gegründeten Staates Israel mit dem späteren Ministerpräsidenten stritt, indem er dessen Politik als lächerliche „comedy of fury“ deklassierte.

Der deutsche Historiker HUBERT LEBER (Marburg / Haifa) diskutierte in seinem Beitrag die Frage nach der besonderen Qualität der deutsch-israelischen Beziehungen anhand der Rüstungsexporte der Bundesrepublik nach Israel in den 1970er-Jahren.4 Im Gegensatz zu den Debatten in der Knesset zwei Jahrzehnte zuvor konstatierte Leber der bundesrepublikanischen Politik unter Helmut Schmidt einen Trend zur Ent-Emotionalisierung und Ernüchterung. Die Ausnahmeposition Israels hatte sich Mitte der 1970er-Jahre erschöpft, auch wenn und gerade weil es in den späteren 1970er-Jahren in Deutschland zu einem Geschichtsboom kam. Die Shoah wurde jedoch erst in den 1980er-Jahren in der deutschen Gesellschaft zu einem unverrückbaren erinnerungskulturellen Anker und moralischen Kompass. Die sozial-liberale Außenpolitik unter der Regierung Helmut Schmidts wollte sich von der Geschichte nicht die Entscheidungen diktieren lassen. Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien 1981 wurden von Schmidt mit der Bemerkung gerechtfertigt, dass „Schuldkomplexe nach Auschwitz“ schlechte Ratgeber für außenpolitische Entscheidungen seien. In der Gesamtbetrachtung der bundesrepublikanischen Waffenexportpolitik in den 1970er-Jahren zeige sich, so das Fazit Lebers, keinerlei Vorzugsbehandlung Israels mehr. Eine markante Zäsur in dem bilateralen Verhältnis sah Leber allerdings in der geheimen sogenannten „Israel-Klausel“, die der Bundessicherheitsrat 1982 verabschiedete und mit der erstmalig die besondere Verantwortung der Deutschen gegenüber dem Staate Israel als moralische Leitlinie außenpolitischen Handelns festgeschrieben wurde.

Als dritter Mann auf dem Podium schaltete sich der für die geteilte deutsche Geschichte namhafte Historiker JEFFREY HERF (Washington, D.C.) dazu. Auch Herf erregte gerade erst Aufmerksamkeit durch seine neueste Publikation.5 In seinem Beitrag jedoch fokussierte er weniger auf die Beziehungen zwischen der DDR und Israel, sondern unterzog noch einmal die Israel-Politik in der Ära Konrad Adenauer einem „revisited“. So stand der erste Bundeskanzler, der vor allem für seine konservative und restaurative Politik bekannt war, für einen Neuanfang im deutsch-jüdischen Verhältnis. Bereits im September 1951 bekannte sich Adenauer zu einer besonderen Verantwortung der Bundesrepublik für die Verbrechen und den Völkermord NS-Deutschlands. Bekanntermaßen verabschiedete der Deutsche Bundestag 1952 eine wirtschaftliche Aufbauhilfe für Israel. Herf sah in dieser Vergangenheitspolitik als „Wiedergutmachungspolitik“ ein „Paradox“ und eine erste markante Zäsur nach dem Ende des Krieges. Bemerkenswert war für Herf diese Politik des Neuanfangs vor allem deshalb, weil sie nicht ausschließlich auf finanzielle Entschädigung zielte, sondern auch von dem moralischen Anspruch durchdrungen war, dass dem jüdischen Volk nie wieder Schaden zugefügt werden dürfe. Diese Politik müsse allerdings vor dem Hintergrund der gleichzeitigen innenpolitischen Linie Adenauers betrachtet werden, die auf eine schnelle Reintegration ehemaliger Vertreter des NS-Regimes in den öffentlichen Dienst setzte und Kriegsverbrecherprozessen eher skeptisch gegenüberstand. Vor diesem Hintergrund plädierte Herf dafür, Zäsuren und Kontinuitäten im deutsch-israelischen Verhältnis als zusammengehörig zu betrachten.

Die Diskussion nach den kurzen und präzise gehaltenen Impulsen verlief absehbar harmonisch und einhellig. Das Podium war sich darin einig, dass die Fragestellung nach den Besonderheiten im Deutsch-Israelischen Verhältnis eher den analytischen Blick verschleiert, anstatt einen präzisen Zugriff zu ermöglichen. Statt nach Besonderheiten zu forschen, wäre es angebracht die Frage nach Normalität beziehungsweise Normalisierung zu stellen. Dafür wäre eine Forschung hilfreich, die Kontinuitäten und Diskontinuitäten herausarbeiten würde. Eine dieser Linien ist die konstatierte Asymmetrie in dem Verhältnis der Staaten zueinander. So zeigte der Beitrag Witzthums, dass Israel (abgesehen von der Minderheit der deutschen Juden) vielmehr an dem eigenen Überleben interessiert war, als an einem guten Verhältnis zu Deutschland, während ja Herf betonte, wie wichtig bereits Adenauer das moralische Gebot der besonderen Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk war. Die Diskutierenden verwiesen mehrfach auf die Notwendigkeit, den Perspektivrahmen zu erweitern. Vergleichende Blicke auf das US-Amerikanisch-Israelische Verhältnisse würden ähnliche ambivalente und distanzierte Beziehungen erkennen lassen. Zudem bestehe die Notwendigkeit, den Kalten Krieg als Perspektivrahmen stärker zu beachten.

In Hinblick auf zukünftige Forschungen waren sich die Anwesenden dahingehend einig, dass die Fokussierung auf zentrale Akteur:innen in diesem wechselhaften Prozess der Etablierung, des Ausbaus und der Veränderungen im Deutsch-Israelischen Verhältnis absolut lohnenswert ist. Das war weniger überraschend, wenn man sich die neuesten Publikationen der Teilnehmenden der Sektion ansieht.

Moshe Zimmermann fasste am Ende die Diskussion als „sehr israelisch“ im Sinne von lebhaft und ein wenig durcheinander zusammen. Die Lebhaftigkeit sorgte für Kurzweiligkeit, aber dennoch war die Diskussion gut strukturiert. Das war vor allem auch Lorena de Vita zu verdanken, die durch ihre gut informierten und konzentrierten Fragen die Diskussionsbeiträge ihrer Kollegen zielführend zusammenbinden konnte.

Sektionsübersicht:

Sektionsleitung: Lorena De Vita (Utrecht) / Moshe Zimmermann (Jerusalem)

David Witzthum (Jerusalem)

Hubert Leber (Marburg / Haifa)

Jeffrey Herf (Washington, D.C.)

Anmerkungen:
1 Zuletzt: Moshe Zimmermann, Vom Rhein an den Jordan. Die deutschen Quellen Israels. (Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts, Vorträge und Kolloquien, Bd. 18.) Göttingen, Wallstein 2016
2 Lorena De Vita, Israelpolitik. German Israeli Relations, 1949-69, Manchester 2020.
3 David Witzthum, The Beginning of a Wondrous Friendship? The story of Israeli-German reconciliation 1948-1960, Tel Aviv 2018.
4 Hubert Leber, Nichts Besonderes. Bundesdeutsche Rüstungsexporte nach Israel in der sozialliberalen Ära (1969–1982), in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 16 (2019), H. 3, URL: https://zeithistorische-forschungen.de/3-2019/5793, DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-1730, Druckausgabe: S. 520-548.
5 Jeffrey Herf, Unerklärte Kriege gegen Israel. Die DDR und die westdeutsche radikale Linke, 1967-1989, Göttingen 2019.


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